»I love your vampire attitude!« Die junge Kellnerin lächelte freundlich und warm.
Aber das ist keine Geschichte über Vampire. Hier geht es nicht um Blut.
»Führen Sie die Kuh in die Küche, zeigen Sie ihr den Grill nur kurz und legen Sie sie dann einfach auf mein Brötchen«, hatte Kevin ihr kurz zuvor auf die Frage geantwortet, wie er seinen Burger wolle.
Es ist eine Geschichte über Fleisch.
Das Lächeln der Kellnerin war ehrlich, keins um ein höheres Trinkgeld zu bekommen. Ihre Zähne schimmerten perlweiß unter ihrer Oberlippe hervor, links und rechts ihrer Mundwinkel bildeten sich süße Grübchen, ihre blauen Augen strahlten unter den braunen Löckchen, die ihr verspielt ins Gesicht fielen, während sie die Worte super rare auf ihren Block kritzelte.
Kevin liebte es, in einen guten Burger zu beißen, und im Beef By The Sea machten sie einen verdammt guten Burger.
Als er nach L. A. gezogen war, hatte er um das Beef By The Sea zunächst noch einen weiten Bogen gemacht. Der Laden lag jenseits der Uferpromenade des Venice Beach, auf der der Stadt zugewandten Seite des Boulevards. Das Schild über der Tür zeigte die Karikatur eines Anglers, der einen Stier mit Haifischfinne aus dem Meer zog.
Kevin hatte vermutet, dass er hier bessere Fischbrötchen als Burger bekommen würde, dass ein Surf’N’Turf das höchste der Gefühle für einen Fleischliebhaber wie ihn sein würde, was sie auf der Karte hatten. Es hatte seinen Kumpel Alex viel Anstrengung gekostet, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.
7
Bis zu diesem Tag war das The Counter Kevins erste Adresse gewesen, um einen guten Burger zu essen. Ihn hatte jedoch immer gestört, dass man seinen Burger in mühsamer Kleinarbeit selbst auf einem Fragebogen zusammenbauen musste, indem man jede Zutat einzeln ankreuzte.
Als gebürtiger Deutscher, der sein Abitur an einem Gymnasium in Frankfurt gemacht hatte, hatte er immer etwas spöttisch auf die amerikanische Schulbildung und ihre Multiple Choice Tests herabgeschaut. Wenn er jedoch mit einem dieser kurzen Bleistifte im The Counter saß und die Felder seiner Bestellkarte ausmalte, fragte er sich jedes Mal aufs Neue, ob er zu voreilig geurteilt hatte. Der Multiple Choice Test dort war nervig und störend. Möglicherweise war genau das das Ziel dieser Art von Test. Die Teilnehmer zu zermürben, um neben ihrem Wissen auch ihre Ausdauer auf die Probe zu stellen.
War dann endlich der Moment gekommen, in dem er seinen Burger serviert bekam, musste Kevin jedenfalls immer wieder aufs Neue feststellen, dass er durchgefallen war.
Manchmal hatte er in einer Kategorie die falsche Zutat angekreuzt, weil er in der Zeile verrutscht war, manchmal hatte er sich für eine der ersten drei Käsesorten entschieden, weil er hungrig und ungeduldig war, und dann erst während der Wartezeit weiter unten seinen Lieblingskäse entdeckt hatte, und manchmal hatte er eine Kategorie auch ganz vergessen, weil er »am Ende noch einmal darauf zurückkommen« wollte.
Als er einmal keine Lust auf die Umstände und die daraus resultierende Enttäuschung im The Counter hatte, war Alex’ Chance gekommen. Kevin hatte ihm gesagt, dass er keine Lust auf Fisch habe und sein Kumpel hatte versprochen, er würde sich noch wundern.
Alex sollte recht behalten, und Kevin war ihm bis heute dankbar für seine Beharrlichkeit. Mit seiner eingefahrenen Art machte Kevin es seinen Freunden nicht immer leicht, das wusste er selbst.
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Genauso dankbar war er für die Bemühungen der jungen Kellnerin. Sie hatte fleißig mitgeschrieben, als er ihr gesagt hatte, dass er seinen Burger mit Bacon, angebratenen Champignons, Cheddar Cheese und BBQ-Soße wollte. Außerdem hatte er die Tomatenscheibe abbestellt, die mit Salat und der Gurke als Standard auf jeden Burger gehörte, ihm aber nicht schmeckte. Zu wässerig. Er hatte vergessen, eine Beilage zu bestellen, und anders als der Multiple Choice Test seines zweitliebsten Burgerladens hatte sie noch einmal nachgefragt, was er zu seinem Burger wolle und auch seine Portion Pommes Frites mit Ketchup notiert.
Kevin gegenüber saß ein gemischter Salat mit Diet Coke, und verzog angewidert das Gesicht, während er seine Bestellung aufgab.
Sie war hübsch, keine Frage. Hatte eine tolle Figur – und er wettete, sie würde jedem, der ihr dafür ein Kompliment machte, groß und breit erklären, dass sie sie ausschließlich ihrer gesunden, veganen Ernährung zu verdanken hatte. Sie hatte das Gesicht bereits verzogen, als sie das Schild über der Tür gesehen hatte.
Kevin wusste nicht mal, warum es ihn überraschte. Es war einer der Gründe, warum er aufgehört hatte sich mit Schauspielerinnen zu verabreden. Ihr Körperwahn in Verbindung mit dem Gesundheitstrip, der Hollywood erfüllt hatte und von den Hügeln der Reichen hinab ins Tal gewabert war, wo sich ihm jeder Jungschauspieler und jede Jungschauspielerin anschloss, mit dem Ziel, irgendwann auch einmal in einer der schmucken Villen oberhalb der Stadt und in den Canyons dahinter zu leben.
Kevin konnte nicht abstreiten, diesen Traum zu teilen. Er war einer von ihnen. Schauspieler, 24 Jahre alt, erfolglos. Und er wusste, dass der Erfolg nicht von selbst an die Tür klopfen würde. Er wusste aber auch, dass es der falsche Weg war, ein Leben lang unglücklich auf ihn hin zu arbeiten, in einer Stadt mit drei Millionen Träumern, von denen man doch immer nur die Gleichen auf der Leinwand sah.