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Hartmut Sommer

François Fénelon

François Fénelon

Sanftmütiger Anarchist und Meister der Mystik

»Wer einer Lüge fähig ist, ist unwürdig, Mensch zu heißen, und wer nicht zu schweigen weiß, verdient nicht zu herrschen.«

François Fénelon: »Die Abenteuer des Telemach«

Als Erzbischof von Cambrai, Missionar der Gegenreformation und Prinzenerzieher am Hof des »Sonnenkönigs« Ludwig XIV. war François Fénelon an allen großen politischen und intellektuellen Kämpfen seiner Zeit beteiligt – und derer gab es im absolutistisch regierten Frankreich des 17. Jahrhunderts nicht wenige. Den weltanschaulichen Kern seines Denkens bildeten dabei die Kritik am Absolutismus, indirekt vorgetragen, um nicht den Kopf zu riskieren, sowie der Kampf gegen Hedonismus und Atheismus.

Lebenslang suchte und verteidigte er gegen heftige Gegnerschaft einen vertieften Gebetsweg der reinen Liebe zu Gott, des »amour pur«, ohne dabei die philosophisch-theologische Argumentation gering zu achten. Fénelon wurde so zu einem Meister der mystischen Theologie und zum Verfechter des Einklangs von Glaube und Vernunft. Dr. Hartmut Sommer zeichnet Fénelons bewegte Biographie fundiert und erstmals in deutscher Sprache eindringlich nach und entdeckt ihn als sanftmütigen Anarchisten und Meister der Mystik

Seiten: 412

Hartmut Sommer

ISBN:978-3-86417-192-5

Seiten: 412

Normaler Preis €28,00 EUR
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Hartmut Sommer

Dr. Hartmut Sommer, (*1952) studierte Erziehungswissenschaften und Philosophie an der PH Rheinland und an der RWTH Aachen. Seit den frühen 1980er Jahren veröffentlicht er Bücher, Artikel und Essays zu pädagogischen, philosophischen und vor allem auch christlich-katholischen Themen. Darüber hinaus arbeitet er als Übersetzer.

Leseprobe

Hell schimmert das aus weißem Marmor gehauene Grabmonument des Erzbischofs François Fénelon in der Apsis der neuen Kathedrale von Cambrai. Der »Unvergleichliche«, wie ihn Leibniz nannte, hat hier seine letzte Ruhestätte gefunden, nachdem die ursprüngliche Bischofskirche in den Wirren der Revolution zerstört worden war. Locker hingestreckt, den Oberkörper auf zwei Kissen gestützt zeigt ihn die Grabskulptur in aristokratischer Gelassenheit, hingegeben an einen Augenblick der Kontemplation. Sein Blick verliert sich im Unnennbaren, eine Hand liegt auf dem Herz, dem Symbol der Lie­be, die andere tastet nach dem Unsichtbaren, das nur der Mystiker zu schauen vermag. So scheint er zugleich etwas zu geben von der reinen Liebe zu Gott, die sein Lebensthema war, und zu empfangen, was ihm mit ihr geschenkt wird. In dieser Bildsprache ist gut zu­sammengefasst, was Fénelon ausmachte: seine selbstbewusste aris­tokratische Haltung, seine der Wahrheit mehr als formeller Autori­tät und Macht verpflichtete Unabhängigkeit und seine Suche nach einem vertieften Gebetsweg der reinen Liebe. Zum Preis der Ver­bannung vom Hof Ludwigs XIV. und der entgangenen Kardinals­würde hat er an dem festgehalten, was er für richtig hielt und wert dafür einzutreten: an der Kritik am Absolutismus und am Kampf gegen den Hedonismus, für den es illusionär ist, den Nächsten und Gott selbstlos lieben zu wollen, ohne eigenes Glück und Seligkeit als Entgelt dafür zu erwarten.
Als Missionar der Gegenreformation, als Prinzenerzieher und später als Erzbischof von Cambrai war Fénelon an allen großen politischen und intellektuellen Kämpfen seiner Zeit beteiligt. Es war die Zeit der absolutistischen Herrschaft Ludwig XIV., dessen lange Regentschaft die gesamte Lebenszeit Fénelons über andauerte und Frankreich in eine schwere Krise führte. Ludwigs nach Osten ausgreifende Eroberungskriege, begleitet von drakonischer Kriegs­wirtschaft, laugten das Land aus. Die Zwangsmissionierung der Hu­genotten, unter anderem mit dem Mittel der Einquartierung von Soldaten, den sogenannten »Dragonaden«, hatte eine Massenemi­gration zur Folge. Innerhalb der Kirche kämpften die Befürworter einer größeren Unabhängigkeit der französischen Kirche, die Gallikanisten, gegen die romtreuen Ultramontanen. Um die richtige Auslegung der Gnadenlehre Augustins rangen Jansenisten erbittert mit Anti-Jansenisten. Das Verständnis der Mystik und des kontem­plativen Gebetsweges war Gegenstand heftig geführter Dispute um den Quietismus. Descartes Philosophie fand Eingang an den theo­logischen Fakultäten und verdrängte trotz päpstlicher Verurteilung die alte scholastische Lehre. Malebranche war der führende Ver­treter einer breiten Strömung in Theologie und Philosophie, die Descartes Denken mit der Lehre Augustins verbinden wollte. An Descartes Rationalismus knüpfte jedoch vor allem der neuzeitliche Säkularismus an, mit dem sich ein auf Nützlichkeit ausgerichtetes wissenschaftliches Denken vollständig vom Glauben ablöste und verselbständigte.
Fénelon war einer der profiliertesten Köpfe in diesen Auseinan­dersetzungen, aber kein Frühaufklärer, wie man ihn insbesondere im 18. Jahrhundert gerne sehen wollte, vielmehr einer der letzten bedeutenden Verteidiger des Einklanges von Glaube und Vernunft. Der inspirierende, aber durchaus distanzierte Austausch mit der Mystikerin Madame Guyon und der Lehrstreit mit Jacques Bé­nigne Bossuet, dem einflussreichen Bischof von Meaux, über den »amour pur«, die reine, selbstlose Liebe, ließ Fénelon zu einem Meister der mystischen Theologie werden. Mit seinen bedeutenden Briefen zur Seelenführung hat er einen Weg zum kontemplativen Gebet gewiesen, der ohne den Höhenflug außerordentlicher spiri­tueller Erfahrungen auskommt als gelassene, von sich selbst ab­sehende und Gott hingegebene und vertrauende Haltung. Fénelons Schriften behandeln die zeitlose, vor dem Hintergrund des moder­nen Hedonismus sich verschärft stellende Frage, ob die Liebe zu Gott und zum Nächsten gänzlich frei sein kann von eigennützigen Motiven. Er hat das bejaht und diese Position gegen Bossuet vertei­digt, der mit seiner entgegengesetzten Parteinahme letztlich einem modernen Egoismus und Individualismus in die Hände gespielt hat. Bossuet blieb in diesem Streit der Sieger, weil er mit Ludwig
XIV. die Staatsmacht hinter sich hatte, mit deren Hilfe er Druck auf den Papst ausüben konnte. Der widerstrebende Papst Innozenz XII. musste angesichts der stets drohenden Abspaltung einer französi­schen Nationalkirche schließlich nachgeben und Fénelons Schrift
Erläuterung der Maximen der Heiligen über das spirituelle Leben (Explication des maximes des saints sur la vie intérieure) verurtei­len. Fénelon aber hat die gesamte Tradition der christlichen Philo­sophie und Mystik auf seiner Seite und mit der reinen selbstlosen Liebe eine zentrale christliche Lehre verteidigt, bis heute aber haf­ten an ihm die ungerechten Vorwürfe Bossuets und die eher in der milden Form eines Verweises erfolgte Verurteilung seiner Schrift durch ein Breve. Seine Lehre wird immer noch als »Semi-Quietis­mus« eingeordnet, was meist unkritisch mit den Anschuldigungen Bossuets belegt werden soll. Dabei betraf das Breve des Papstes nur die unzureichende und missverständliche Darstellung in den Ma­ximen, seine mystische Theologie der reinen Liebe selbst ist nie verurteilt worden.
In den politischen Auseinandersetzungen blieb Fénelon Royalist, zugleich aber Kritiker des Absolutismus und der Kriegspolitik Lud­wigs. Dabei hatte es der Spross eines verarmten südfranzösischen Adelsgeschlechtes als Prinzenerzieher des Enkels von Ludwig XIV. sogar bis in den Nahkreis der Macht geschafft. Dass er den schwie­rigen jungen Prinzen mit behutsamer Lenkung zu einem vielver­sprechenden zukünftigen Regenten formen konnte, dankte ihm der König mit der Ernennung zum Erzbischof von Cambrai. Während aber Ludwig XIV., der absolutistisch regierende »Sonnenkönig«, in Versailles glanzvoll Hof hielt, bereitete Fénelon den möglichen Thronfolger darauf vor, es einmal ganz anders zu machen als sein Großvater. Das für seinen Schützling als Lehrschrift verfasste, an die Odyssee anknüpfende Heldenepos Die Abenteuer des Telemach (Les Aventures de Télémaque) entwirft das Bild eines gerechten und friedliebenden Herrschers, das als herbe Kritik an Ludwig XIV. ge­lesen werden kann und nach der Veröffentlichung auch so gedeutet wurde. Dieser subversive Text, der den Antimachiavell Friedrichs II. beeinflusst hat, war bis ins 18. Jahrhundert eines der europaweit am meisten verbreiteten Bücher. In gewisser Weise war Fénelon nach einem Wort Marcel Prousts »sanftmütiger Anarchist« (doux anar­chiste)2, nicht im Sinne politischer Theorie, sondern im Sinne desje­nigen, der sich missbräuchlicher Macht subtil zu entziehen versteht, sie geräuschlos zu umgehen und zu unterlaufen versucht, im Falle Fénelons das absolutistische Regime Ludwigs XIV.