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Sören Schnaubelt

Über das Schicksal des Leutnant Sauer

Über das Schicksal des Leutnant Sauer

Josef Kramer ist bestürzt: Sein ehemaliger Kamerad Ernst Sauer ist unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Gemeinsam waren sie 1912 in Tsingtau stationiert und kämpften Seite an Seite für die Kaiserliche Armee des Deutschen Reiches. Berichten zufolge war Sauer dem Wahnsinn verfallen und huldigte einer dunklen Gottheit.
Schon in Tsingtau übersetzte Sauer wie besessen einen geheimnisvollen Text aus einem verlassenen Tempel, doch für Kramer ist es trotzdem unvorstellbar, dass ein vorbildlicher deutscher Soldat wie Sauer ein Okkultist gewesen sein soll. Er beginnt Nachforschungen zu Sauers Tod anzustellen und nach Hinweisen zu Sauers Machenschaften zu suchen, um die Wahrheit über seinen Freund herauszufinden und ihn ins rechte Licht zu rücken. Auf den Spuren seines verstorbenen Kameraden reist er nach Hamburg, Berlin und England und schnell wird Kramer klar, dass dies eine Suche ist, die er besser nie begonnen hätte.

Seiten: 230

Sören Schnaubelt

ISBN:978-3-96964-008-1

Seiten: 230

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Sören Schnaubelt

Schnaubelt, geboren 1982, kommt aus Stuttgart. Er ist studierter Bauingenieur und im Stahl- und Betonbau tätig. Dies ist sein erstes veröffentlichtes Werk, das während der Weimarer Republik spielt und die Ausschweifungen und okkulten Praktiken des Leutnants Ernst Sauer thematisiert.

Leseprobe

Der Vormittag des 17. April 1928 unterschied sich nicht wesentlich von jedem anderen Morgen des bereits ver­strichenen Jahres. Ich war pünktlich um sechs Uhr auf­gestanden, hatte ein einfaches Frühstück eingenommen und mich angekleidet. Gegen sieben Uhr verließ ich mein Haus in Bochum Herne und begab mich auf mei­nen allmorgendlichen 15-minütigen Fußmarsch. Dieser führte mich zu den Büroräumen der Stahlbaufirma, für die ich damals tätig war. Und so saß ich kurz vor halb acht in meinem Büro in unserer Bochumer Niederlas­sung. Ich begann sogleich mit der Arbeit und war da­mit beschäftigt Materiallisten durchzuarbeiten. Die Unterlagen betrafen die Errichtung einer Überdachung für die Wartehalle eines kleineren Nebenbahnhofes in Essen. Ich stellte die Bestellung der Winkelprofile und I-Träger zusammen, die wir noch im Laufe des heutigen Tages von der VESTAG (Vereinigte Stahlwerke AG) be­stellen wollten. Meine Laune war nicht besonders gut. Die nach Angabe unseres Statikers notwenigen Profile waren deutlich schwerer als ich bei der Angebotserstel­lung abgeschätzt hatte. In Anbetracht des jetzigen hohen Stahlpreises würde das unseren Gewinn bei diesem Bau­vorhaben deutlich schmälern. Bevor ich die Listen fertig hatte, musste ich noch einmal mit dem Statiker reden. Er würde prüfen müssen, ob er die Profile nicht doch klei­ner dimensionieren konnte. Dies war so nicht rentabel.
Als ich mit den vorläufigen Listen fast fertig war, klopfte es an der Tür meines Büros. Herr Braun, der
Vorsteher der Konstruktion, grüßte und trat ein. Er war ein pflichtbewusster, gedrungener Mann, der damals im Krieg seine linke Hand verloren hatte. Er trug den wei­ßen Kittel, der Technischen Zeichnern als Berufsklei­dung dient – den linken Ärmel hatte er von seiner Frau kürzen und zunähen lassen. Er hob die rechte Hand, in der sich ein Brief befand.
»Ein Einschreiben«, erklärte er. Er legte den Brief auf meinen Tisch. »Ich wollte Sie eigentlich holen, aber der Bote hatte es verflucht eilig, also habe ich den Empfang für Sie quittiert. Ich fürchte, ich habe wohl Ihre Unter­schrift gefälscht. Nur damit Sie Bescheid wissen.«
»Na, dafür wird man Sie wohl nicht gleich vor ein Standgericht stellen«, scherzte ich.
»Wenn ich mich nicht irre, haben Sie für das Abhal­ten eines Standgerichts nicht ganz den Dienstgrad, Herr Leutnant«, erwiderte er schmunzelnd.
Als Braun gegangen war, öffnete ich den Brief vor­sichtig mit dem Brieföffner in Form eines Miniatur Bajonetts, welchen ein Freund mir einst geschenkt hatte. Erst begann ich damit den Brief zu überfliegen. Nachdem ich ihn das erste Mal flüchtig durchgesehen hatte, las ich ihn noch zwei weitere Male mit größerer Sorgfalt, da ich seine Wichtigkeit erkannt hatte. Im An­schluss daran ging ich als Erstes zum Vitrinenschrank in meinem Büro und schenkte mir einen Schnaps ein. Eigentlich war es nicht meine Art, schon vor dem Mit­tagessen zu trinken – meine Frau sah dies nicht gerne – angesichts der deprimierenden Nachricht, die der Brief enthielt, wich ich nun jedoch von dieser sonst eisern eingehaltenen Regel ab.
Der Brief stammte von einem Notar mit Geschäfts­sitz in Hamburg. Der Notar hieß Müller und hatte seine Kanzlei in der Nähe des Doms. Als ich den Schriftkopf mit der Hamburger Adresse sah, musste ich sofort an meinen alten Freund und Kameraden Ernst Sauer den­ken. Wusste ich doch, dass er sich dort in der Stadt aufhielt, und sonst hatte ich keine Bekanntschaften oder Verwandte in Hamburg.
Ich hatte mich nicht geirrt, der Brief betraf Sauer. Und der Inhalt war eine mehr als nur betrübliche Nachricht. Die Nachricht war so überraschend wie niederschmet­ternd. Der Notar erklärte bündig und sachlich, dass er beauftragt worden war, den Nachlass des Herrn Sau­er abzuwickeln. Ernst Sauer Leutnant a.D. sei 1927 in englischer Haft verstorben. Er hatte ein Schreiben hin­terlassen, das zwar kein ordentliches Testament war, aber doch Regelungen zu seinem Nachlass enthielt. Als einziger Erbe und die Person, die über seinen Tod informiert werden sollte, wurde ich genannt. Aus die­sem Grund bat mich der Notar, möglichst im Mai seine Kanzlei in Hamburg aufzusuchen. Sollte der Mai nicht machbar sein, so wäre erst wieder ein Termin im August möglich, da ihn in der Zwischenzeit Angelegenheiten außerhalb Hamburgs in Beschlag nehmen würden.
Die Nachricht machte mich sehr betroffen. Sauer und ich waren im Großen Krieg Kameraden gewesen. Wir hatten in China, in Tsingtau, gemeinsam gegen die Japa­ner und Engländer gekämpft. Ich war damals in Kriegs­gefangenschaft gegangen, während Sauer eine aben­teuerliche und verwegene Flucht gelang. Und obwohl Sauer und ich damals viel Zeit miteinander verbracht hatten und Kameraden und ja, auch Freunde waren, war ich doch erstaunt, dass er mich als seinen alleinigen Er­ben eingesetzt hatte.
Nach kurzer Überlegung kam ich zu dem Schluss, dass ich es Sauer schuldig war, nach Hamburg zu reisen. Dies war letztendlich der Augenblick, in dem ich begann – wenn ich es damals auch noch nicht realisierte – Nach­forschungen zu Sauers tragischem Ende anzustellen.
Nun war Einiges zu tun. Zuerst musste ich Rückspra­che mit dem Vorsteher des Büros halten, damit ich eini­ge Tage der Arbeit fernbleiben konnte. Ich erklärte ihm, dass ich persönliche Angelegenheiten zu regeln hätte.